Ende der Spielstunde, begleitet von wildem Kindergeschrei. “Und jetzt kommen alle Mamis mit in den Kreis”. OK. Und was mach’ ich währenddessen?

Ja, ich weiß, als einziger Papa weit und breit bin ich auch mit gemeint. Ich sag ja gar nichts. Ich denke mir nur meinen Teil. Genauso wie damals, als ich die Spielgruppe im Evangelischen Gemeindehaus kurz verlassen habe, nur um festzustellen, dass das Herrenklo draußen mit Bierbänken zugebaut ist. “Da müssen Sie wohl unten durch krabbeln”, erklären mir die netten Damen, die hier für die “Tafel” Essen an Bedürftige austeilen. “Ernsthaft?” antworte ich.  – “Um die Zeit kommen hier normalerweise keine Männer her. Aber Sie können auch die Behindertentoilette nehmen.”

Irgendwie bin ich wohl nicht eingeplant. Warum auch. Ob Purzelturnen, Spielplatz-Gespräche, Kinderklamotten-Flohmarkt oder Kita-Besichtigung: Mamas, soweit das Auge reicht. Als Papa mit 18 Monaten Elternzeit bin ich der bunte Exot. Vor allem dort, wo alles andere exotisch ist. „Where is your Mama?“ fragen sie Theo, wenn wir in Ubud (Bali) zu zweit durch die bunt dekorierten Gassen schlendern. Mann allein mit Kind – gibt’s doch gar nicht! Unvergessen auch die nette junge Dame in Vietnam, die mich auf seinen Husten ansprach, verbunden mit dem hilfreichen Hinweis, dass sich hinter Husten manchmal Krankheit verbirgt.

Aber genug gelästert. Völlig anders ist es zu Hause in Deutschland ja auch nicht. Klar, wir haben inzwischen ein verbrieftes Recht auf unglaubliche drei Jahre Elternzeit – pro Person! In vielen anderen Ländern, auch in westlichen Industrienationen, klingt das geradezu utopisch. Dazu gibt es noch zwölf Monate Elterngeld. Zwei weitere Monate, wenn der zweite Partner auch Elternzeit nimmt. Richtig: Der Partner. „Der“ erste in Elternzeit ist gewöhnlich immer noch die Frau, der Mann macht dann halt noch zwei „Vätermonate“.

Ein paar Zahlen gefällig?

  • Nur ein Drittel aller Väter nimmt überhaupt Elternzeit. (Quelle: ZEIT)
  • Davon nehmen 80 % nur zwei „Vätermonate“. (Quelle: ZEIT)
  • 75 % aller Väter wünschen sich vor allem mehr Zeit für die Familie.
    (Quelle: WAZ)

Wer findet den Fehler?

Ich will diese Zeit mit meinem Sohn. Ich kriege sie nie wieder zurück und keine Arbeit der Welt ist dringender oder wichtiger als sie. Hier kommt ein radikaler Gedanke: Wenn ich wüsste, dass ich nur noch einen Tag zu leben hätte, was würde ich tun? Wahrscheinlich mit Theo irgendwo in den Park gehen und einfach nur spielen. Das wäre wirklich wichtig und sinnvoll. Und auch wenn ich noch länger leben darf – warum sollte ich das Wichtige dauernd dem angeblich Dringenden opfern?

Zweitens geht es für mich auch um Gerechtigkeit. Wenn Menschen zusammen leben, sollten alle mit anpacken. Dabei sollte jeder erst mal gleich viel Arbeit übernehmen, das scheint mir nur fair. Die gleiche Verteilung muss nicht das Endergebnis sein, sollte aber zumindest für die Ausgangslage gelten. Klar: Wer Rückenprobleme hat, schleppt besser keine Wäschekörbe und Einkaufstaschen. Und wer eine Aufgabe unbedingt übernehmen will, soll es auch dürfen, wenn sich sonst niemand darum reißt. Es geht mir nur um eine faire Ausgangslage. Und da wäre eine Forderung wie „Du machst sauber, weil Du braune Haare hast“ doch ziemlich seltsam. Der Anspruch, dass die Frau den größten Teil der Elternzeit übernimmt, weil sie die Frau ist, kommt mir nicht viel besser vor.

Wie sehr diese Ungleichheit noch in unsere Sprache hinein spielt, sieht man schon am Begriff „Vätermonate“. „Müttermonate“ gibt es nicht, denn sie sind der Normalfall. Sie heißen einfach „Elternzeit“. Die “Vätermonate” sind dagegen der Sonderfall werden deshalb durch einen eigenen Begriff markiert. Und, mal ehrlich: So richtig lang sind zwei Monate ja nicht. Bis Theo und ich uns zu Hause richtig eingespielt haben, war der erste Monat schon so gut wie vorbei.

Aus diesen Gründen haben wir beide etwa gleich viel Elternzeit genommen: rund eineinhalb Jahre – das sind jeweils ein Jahr zu Hause und fünf Monate gemeinsam auf Weltreise. Noch einmal: Ich schreibe hier niemandem vor, wie er / sie leben soll. Wenn Paare ihr Leben bei einer anderen Aufteilung schöner finden, ist das doch prima. Ich habe nur manchmal Zweifel, wie „frei“ diese Entscheidungen wirklich ablaufen. Meistens werden sie nämlich in irgendeiner Form mit „Sachzwängen“ begründet. Welche Sachen sind das, von denen wir uns zwingen lassen?

Es geht natürlich ums Geld. Eine scheinbar einfache ökonomische Rechnung: Der Mann bekommt („verdient“) meistens mehr, darum ist es “vernünftiger“, wenn er mehr arbeitet. Aber warum bekommen Männer im Durchschnitt mehr Lohn? Weil sie weniger ausfallen. Männer kriegen keine Kinder. Sie bleiben nicht zu Hause, darum kriegen sie mehr, darum bleiben sie nicht zu Hause und so weiter. Bei Frauen läuft dieselbe Schleife in die andere Richtung. Es ist vertrackt: Wer diesem „Sachzwang“ nachgibt, erzeugt ihn genau dadurch wieder neu (für alle anderen).

Ich rede jetzt nicht von Menschen, die ökonomisch so benachteiligt sind, dass sie wirklich keine Wahl mehr haben. Sondern von Leuten aus der breiten Mittelschicht, zu der wir auch gehören. Muss ich eine Immobilie besitzen? Oder zwei Autos? Muss ich Karriere machen? Natürlich sind da viele „Sachen“ im Spiel, aber auch „Zwänge“? Arbeitet Papa wirklich deswegen Vollzeit, weil es “nicht anders geht”? Angeblich ist Familie doch unbezahlbar, nicht mit Geld aufzuwiegen. Ab welchen Summen gilt diese Aussage denn nicht mehr? Ein Leben mit mehr Geld ist in vieler Hinsicht sicher einfacher. Aber ist es deswegen “vernünftiger”? Gar “besser”?

Mit seinem paradoxen Satz „Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt“ hat Sartre mir die Verantwortung für mein Leben zurück in meine eigenen Schuhe geschoben. Durch meinen Lebensstil muss mich ehrlich darüber machen, was wirklich „Wert“ hat. Meine “Sachzwänge” sind größtenteils entlarvt als Versuche, alles einfach beim Alten zu lassen. Ein komisches Gefühl.

Mein erster Schritt in diese Richtung war: Ich nehme keine „Vätermonate“. Ich nehme Elternzeit. Ich nehme mir die Zeit, die ich habe. Und verschenke sie gerne.

 

Share: