Anne kehrt an einen Urlaubsort ihrer Kindheit zurück und nimmt Euch mit in die Vergangenheit.
Es ist Winter 1991. Wir steigen in Ao Nang, Thailand, aus dem Bus. Wir sind die ganze Nacht durch gefahren und das Schlafen fiel mir schwer. Jetzt muss ich ganz dringend aufs Klo. Mir wird die Richtung zum Badezimmer gezeigt. Ich darf als erstes hinein, hinter mir formt sich eine Warteschlange. Ich schließe ab, drehe mich um und suche die Toilette. Doch da ist keine. Alles, was ich finde, ist ein großes Loch im Boden unter der Duschbrause. Ich bin überfordert: und jetzt?
Das war meine erste Begegnung mit einem Stehklo – im Alter von neun Jahren. Und es ist meine älteste Erinnerung an den Weihnachtsurlaub 1991 in Thailand mit meinen Eltern. Einen großen Teil der Zeit verbrachten wir am Ao Nang Strand bei Krabi. An diese eindrückliche Reise erinnert sich meine Familie oft zurück und ich selber rede heute noch davon.
Darum war von vornherein klar, dass ein Besuch in Ao Nang auf unserer Elternzeitreise dieses Jahr nicht fehlen durfte. Dieses Mal ist mein eigenes Kind dabei. Theo ist natürlich noch zu klein, um die Eindrücke zu behalten. Dafür schwelge ich selber in umso mehr eigenen Erinnerungen.
1991 konnte noch kaum jemand aufs Internet zugreifen, Individualreisen mit Kindern waren darum eine größere Herausforderung als heute. Bungalows wurden uns damals nur von Tuk-Tuk-Fahrern empfohlen. Trotzdem war an Weihnachten schon alles ausgebucht. Erst in der hintersten Reihe fanden wir eine Unterkunft, ohne jeden Luxus: eine einfache Hütte mit Mückennetz, besagtem Stehklo und einer Rohröffnung als Dusche. Ein ähnlich rudimentäres Backpacker-Feeling hatten Florian, Theo und ich dieses Jahr höchstens noch in unserem Bungalow auf Koh Chang (das allerdings bereits besser ausgestattet war).
Für mich war diese Hütte 1991 himmlisch, der schönste Ort der Welt. Entsprechend aufgeregt spazierte ich im April 2017 zur selben Stelle. Wieder finde ich Bungalows, dieses Mal aber aus Stein, mit allem Luxus – zuviel für unser Budget. Auf Nachfrage erfahre ich, dass das Hotel in dieser Form bereits seit 18 Jahren hier steht. Besonders lang haben sich die Hütten von damals also nicht mehr gehalten.
Nächster Halt: das Last Café am Ende des Strandes. In meinen Erinnerungen mussten wir erst weit über den Stand laufen, um den Tag im Last Café bei einer Schüssel Reissuppe ausklingen zu lassen. Das war für unsere Familie der Fixpunkt nach jedem ereignisreichen Tag.
Und überhaupt: Was für ein cooler Name, Last Café! Es lag am äußersten Ausläufer des Strandes, unter den riesigen Kalkfelsen. Den nächsten Strand erreichte man nur sxhwimmend und auch das nur bei Ebbe. Das Last Café war sozusagen das Ende der Zivilisation, dahinter begann das Abenteuer. Jeden Abend trafen wir uns am Ende der Welt.
TripAdvisor und Facebook informieren mich, dass das Lokal noch steht. Ich kann es kaum erwarten, die Fotos in die Familien-Whatsapp Gruppe zu stellen – “wisst Ihr noch, damals..”
Ich finde aber: Eine Baustelle. Kahlen Beton. Bis auf weiteres geschlossen. Bittere Enttäuschung. Und Pech dazu – die Bauarbeiten haben erst vor kurzem begonnen.
Inzwischen bekomme ich Urlaubsbilder von 1991 geschickt. Mein neunjähriges Ich grinst mich verschmitzt an. Ob sie hier heute genauso glücklich wäre? Genauso viele Eindrücke sammeln würde?
Heute haben auch McDonald’s und Subway Ao Nang erreicht. Niemand muss sich mehr auf fremdes Essen einlassen. Die einfachen Wellblechhütten, Straßenküchen und Souvenirstände sind Ladenlokalen und gehobenen Restaurants gewichen. Aber die ganze Parade aus immer gleichen Hosen, T-Shirts, Taschen und Plastikspielzeugen macht mich richtig traurig. Nichts mehr zu entdecken.
Andererseits: Zum Glück gibt es auch keinen Verkauf von Muscheln und Korallen mehr, der vor 26 Jahren zur Zerstörung vieler Korallenriffe im Meer geführt hat. Wir Kinder durften wir diese gestohlenen Naturschätze damals nicht kaufen, aber in den Geschäften haben wir sie trotzdem ausgiebig bewundert.
Ao Nang ist im touristischen Sinne erwachsen geworden und hat Routine entwickelt. Das ist mir besonders bei den Longtail Booten aufgefallen. Damals ist man zu einem Boot gegangen und hat dort den Preis ausgehandelt. Inzwischen gibt es Ticketschalter und Festpreise. Für unser heutiges Budget sind weitere Ausflüge da einfach nicht drin.
Ich habe genug gesehen. Ao Nang ist immer noch eine Reise wert. Doch das Abenteuer ist verloren gegangen. Hinter dem Ort, wo das Last Café stand, gibt es inzwischen eine Holzbrücke zum (1991 noch nahezu unerreichbaren) nächsten Strand – an dem inzwischen natürlich das nächste das nächste Hotel steht.
Am nächsten Tag laufen wir den Strand in die andere Richtung ab, nach rechts. Hier finde ich die alten Wellblechhütten wieder.
Und nach einigen Kilometern öffnet sich ein spektakulär weißer Strand mit klarem Wasser – und wenig Besuchern, ausschließlich Thais. Felsen ragen aus der blauen Bucht, im Schatten weht ganz leise der Wind. Ein bisschen etwas ist noch da vom alten Zauber. Ein Zauber, den wir nicht festhalten können. Ausgerechnet hier, am mit Abstand schönsten Strand bisher, ist der Akku der Kamera leer. Die Zeit reicht nur für kurze Schnappschüsse mit dem Handy. Zufall?
Florian ist ganz von den Socken. Vielleicht ein bisschen wie ich damals, 1991? Er bleibt noch ein paar Stunden. Theo muss bald Mittagsschlaf halten. Ich bringe ihn ins Hotel, ganz beseelt von diesem Vormittag. Wenigstens für ein paar Stunden konnte ich nochmal zurück in meine Kindheit schauen.