Kurz nach unserer Landung in Hanoi kam schon der erste Absturz: Annes Rücken machte sprichwörtlich die Grätsche. Der Super-GAU? Hier berichtet sie von ihrem tagelangen Kampf gegen die Schmerzen.
Ich liege auf einer brettharten Massageliege. Mein Gesicht vergrabe ich tief im ovalen Tisch-Ausschnitt. Ich starre auf den verdreckten Boden, während ich höre, wie mich immer mehr Stimmen umgeben.
Begonnen hat die Behandlung bei einer lächelnden Vietnamesin. Mein Rücken ist ein einziges Minenfeld. Egal was sie tut, ich zucke zusammen und verkrampfe. “Relax” schlägt sie vor, aber das klappt nicht auf Knopfdruck. Mehr und mehr Mitarbeiter werden hinzugezogen, die sich auf vietnamesisch beraten, was zu tun ist, bis der Chef persönlich Hand anlegt. Und die eigentliche Arbeit beginnt.
Aber der Reihe nach. Am Abend unseres ersten Tages in Hanoi habe ich mir einen schlimmen Hexenschuss zugezogen. Heftige Krämpfe drehten meinen Rücken durch den Schraubstock. Die kleinste Bewegung löste neue Schmerzwellen aus, Sitzen war praktisch unmöglich. Der Fußweg ins Hotel zurück wurde die reinste Tortur. Dort kam ich nicht mal auf die Toilette, ohne dass mir Beine und Kreislauf vor Schmerzen weggebrochen sind. Ich war am Ende.
Als es am nächsten Morgen nicht besser war, holten wir vom Hotel aus einen Arzt. Ich machte mir mittlerweile Sorgen, hier könnte es sich um etwas Schlimmeres handeln. Mein letzter Hexenschuss war nämlich nicht so heftig und wurde nach einer Nacht schon besser.
Gründlich ist besser
Wir telefonierten also mit der Family Medical Practice und umgehend rückte der Krankenwagen an. Frau Doktor Gonzales untersuchte mich sehr gründlich. Da ich mich bereits in Bangkok mit ersten Rückenschmerzen herumschlagen hatte, beschloss sie, zunächst ein MRT zu machen, um einen Bandscheibenvorfall auszuschließen.
Damit war ich voll einverstanden. Ich gehe lieber einmal zuviel zum Arzt als zu wenig. Wegen meiner Familiengeschichte vermute ich nämlich oft erst mal das Schlimmste. Ich vertraue nur Ärzten, die auf Nummer sicher gehen. Darum kam mir das MRT sehr entgegen.
Die Bilder sind eindeutig
Zum Glück zeigte das MRT keinen Bandscheibenvorfall. Dafür war eine Bandscheibe gequetscht – auch wenn zum Glück keine Nerven betroffen waren. Versorgt mit Muskelrelaxern und Schmerzmitteln hieß es jetzt: bewegen, bewegen, bewegen. Leichter gesagt als getan! Schließlich musste ich allen Mut zusammen nehmen, alleine um mich im Schneckentempo auf meckenden zu drehen und aufzustehen.
Zudem stand noch ein Umzug ins nächste Hotel an. Ich konnte weder laufen noch sitzen, dafür fuhr mich der Krankenwagen dorthin. Glück im Unglück.
Eingesperrt
Anders als im letzten Hotel hatte unser neues Zimmer endlich ein Fenster. Ich sollte dieses Refugium für ganze vier Tage nicht mehr verlassen. Tag und Nacht konnte ich mich nur in Zeitlupe bewegen und musste trotzdem immer wieder vor Rückenkrämpfen die Zähne zusammenbeißen.
Der Ausschnitt einer Häuserfront gegenüber war in dieser Zeit alles, was ich von Hanoi sah. Dazu hörte ich die an- und abschwellenden Geräusche der Stadt. Eine penetrante, immer wiederkehrende Melodie bohrte sich mir ins Ohr. Was war das? Ein Eiswagen oder eine wandernde Straßenküche? Ich hatte immer wieder neue Ideen. (Wie sich später herausstellte, handelte es sich um die Müllabfuhr.) Meine Gedanken streiften durch die Stadt, aber mein Körper blieb steif liegen.
Zeit ist relativ
Zunächst lenkte ich mich viel ab. Schlafen konnte ich nicht. Im Schlaf würde ich mich unbewusst bewegen. Dadurch löse ich den nächsten Schmerz aus, der mich dann wieder unsanft weckt. Konzentriert man sich nur auf die Schmerzen, wird die Zeit immer länger und der Schmerz immer bohrender.
Theo hatte nicht viel Verständnis dafür, dass Mama nicht wie üblich spielen konnte und Florian musste das ganz alleine auffangen. So erkundeten die beiden Hanoi ohne mich.
Allein der Tag 2 fühlte sich an wie eine ganze Woche. Als würde es nie mehr gut und ich würde Hanoi, auf das ich mich so gefreut hatte, nie sehen. Als könnte Ich Theo nie wieder tragen und das Zimmer oder eher Bett nie, nie wieder verlassen. Mein Tiefpunkt war erreicht. Jetzt war ich wieder froh über das MRT. Ich wusste ja immerhin, was die Ursache war und musste mir zumindest darüber keine Sorgen machen.
Erst am Tag 3 schaffte ich es alleine, mich hinzusetzen und mit nur wenig Hilfe aufs Klo zu gehen. Was für ein Sieg! Am Tag 4 kam ich dann sogar auch aus dem Zimmer und hinaus auf die Straße! Zwar nur für wenige Minuten, aber immerhin.
Laufen und Sitzen waren inzwischen möglich, aber weiterhin schmerzhaft. Theo zu tragen war gar keine Option. Also blieb alles weiterhin an Florian hängen, im wahrsten Sinne des Wortes.
Mehr Papa als Mama
Hier erlaube ich mir, richtig stolz auf meinen Mann zu sein. Er ist ein Vater mit Leib und Seele. Er investiert alles, was er hat, in die Zeit mit Theo. Er ist für Theo genauso wichtig wie Mama. Darum war es auch kein allzu großes Drama für Theo, dass er jetzt mehr Papa als Mama hat. Das kommt auf unserer Reise ohnehin immer wieder vor.
Jeden Tag wurde es etwas besser, nur richtig ausgeheilt war ich lange noch nicht. Bis ich dieses verheißungsvolle Schild über einem Geschäft entdeckte:
Health Department with traditional Medicine
Acupuncture, massage, reflexology, spinne impact, wind scraping, cupping
Ja, ich stand auf zwei Beinen nur mit letzter Kraft. Wann immer ich konnte, unternahm ich hingebungsvolle Dehn- und Streckübungen. Was ich brauchte, war eine medizinische Massage. Keine Spa-Massage, die es hier an jeder Ecke gibt, sondern jemanden, der sich meinen Rücken Millimeter für Millimeter vornimmt.
Und den sollte ich bekommen. Ich lag also auf dieser Pritsche und der Chef fing an, mich zu bearbeiten. Es ist schwer zu beschreiben, was er gemacht hat. Zuerst hat er erfühlt, welche Muskeln und Wirbel betroffen sind. Dass es vor allem um die rechte Seite geht, hat er sofort selbst bemerkt.
Dann arbeitete er sich immer wieder von oben nach unten durch, um die Muskeln zu lockern. Ich hätte gut einen Beißring gebrauchen können, so höllisch hat es weh getan. Doch ich spürte auch, wie es funktionierte. Der Schmerz verteilte sich auf immer mehr einzelne Muskelstränge und verschwand schließlich fast ganz.
Als er dann eine Art Nudelholz herausholte und mich offenbar ein paar Zentimeter platter walken wollte, hatte ich es fast überstanden. Zuletzt gab es noch einen Satz Schläge auf die linke Seite der Hüfte. Anscheinend sollte das die schiefe Schonhaltung, die ich mir angewöhnt hatte, wieder begradigen. Beim abschließenden Einrenken hat es noch mal ordentlich geknackt. Ich hätte schwören können, dass es nur zehn Minuten waren, doch Florian und Theo mussten fast eine Stunde auf mich warten.
Ich kann wieder gehen
Voller Energie spurtete ich – in aufrechter Haltung! -aus der Praxis. Die 12 € für die Behandlung kamen mir vor wie ein Spottpreis. Ich hatte keine Schmerzen mehr und konnte frei über die Straße tanzen.
Die Behandlung hat aber auch ihre Spuren hinterlassen. Über Stunden hinweg war mein Rücken feuerrot und noch für zwei Tage berührungsempfindlich. Aber das war ein kleiner Preis.
War es das wert?
Angenommen, ich hätte das alles vor der Reise vorhersehen können: Wäre ich dann zu Hause geblieben?
Klare Antwort: Nein! Ich wäre auf jeden Fall gefahren. In gewisser Weise war es so sogar einfacher. Da wäre einer von uns beiden tagsüber auf der Arbeit und könnte nicht einfach für den Anderen einspringen. Auch haben wir in diesen Tagen echt wenig Geld ausgeben, was unserem Reisebudget nur hilft. Die medizinische Versorgung, die mir in Hanoi zur Verfügung steht, lässt mich nichts vermissen. Warum sich also
aufhalten lassen?