Was ist das schlimmste, das uns auf der Reise passieren kann? Was ist der Worst Case? Diese Frage haben wir im Vorfeld unserer Reisen manchmal hin und her gewälzt. Den Rückflug zu verpassen lag vielleicht nicht auf Platz 1 unserer Ängste-Liste – aber schon ziemlich weit vorne.
Jetzt, wo es uns wirklich passiert ist, wissen wir auch, wie sich das anfühlt. Nämlich gar nicht so schlimm. Und wir wissen auch, was zu tun ist.
Aber der Reihe nach.
Ein einsamer Morgen
Dabei war alles so perfekt geplant: Rückflug aus Guatemala City am 2. Mai. Da der 1. Mai ein Feiertag ist, organisieren wir unser Busticket schon am 30. April. Bus Abfahrt in Antigua: 4.00 Uhr, Einchecken am Flughafen: 6:00 Uhr, Abflug 8:00 Uhr. So war zumindest der Plan.
Was leider nichts daran ändert, dass um 4:00 kein Bus vor unserem Hotel stand. Wir warten in Ruhe eine halbe Stunde. Alle paar Minuten biegt ein Autolicht um die Ecke des noch schläfrigen Städtchens. Um 4.30 bitten wir den Rezeptionisten dann doch, bei der Travel Agency anzurufen. Der Bus wird schon kommen, heißt es. Wir warten weitere 15 Minuten. Und verlieren die Geduld.
Zu Recht. Es gab irgendeine sehr ärgerliche (und sehr dumme) Verwechslung, weswegen unser Bus scheinbar ausfällt. Zweiter Anruf bei der Travel Agency, die uns das Ticket verkauft hat. Alice, die engagierte Inhaberin, stürzt aus dem Bett und fährt mit ihrem privaten Pkw bei uns vor.
Der Transport ist jetzt Chefsache. Eilig wird getankt, nach wenigen Minuten düsen wir über die Autobahn. Eine Weile zumindest. Bis wir im undurchdringlichen Stau vor Guatemala City stecken bleiben. Es ist 5:15, aber noch haben wir ja Zeit. Denken wir. Und unterhaltens uns eine Weile ganz nett.
Dann werden die Blicke auf die Uhr immer häufiger. Es ist 5:45. Und kein Ende des Staus ist in Sicht. Google Maps schlägt nur wenig alternative Routen vor, denen Alice ohnehin misstraut. Wir sind auf offline-Karten angewiesen, da wir leider keine guatemaltekische SIM-Karte gekauft haben. Sonst könnten wir jetzt schon unsere Optionen überprüfen. Vor dem Abflug kann man manches noch regeln, danach ist es für alles zu spät.
Vielleicht wäre der Bus vorher durch den Stau durch gewesen? Oder hätte eine andere Route genommen? Wäre, hätte, könnte… Hilft uns auch nicht mehr. Der Uhrzeiger lässt die 6 immer weiter hinter sich.
Keine Lust auf Panik
So richtig toll fühlen wir uns auf der Rückbank nicht, das geben wir gerne zu. Wir sind hilflos – und deswegen ist alles auch irgendwie halb so schlimm. Stau ist eben höhere Gewalt. Wir sind nicht Schuld und wir können nichts, gar nichts ändern. Darum machen wir uns gegenseitig auch keine Vorwürfe. Die helfen nicht weiter.
Theo hat sich, wie immer, ganz ruhig verhalten, sobald es drauf ankam. Wahrscheinlich merkt er uns die Anspannung an. Aber er war ganz friedlich – bis auf den kurzen Moment, in dem er bei Tempo 50 mal eben die Autotür aufgemacht hat – Alices Kommentar “Shit, Amiga!!!”
Was uns zum Thema “Worst Case” zurückbringt – denn auf den steuert unser kleines Taxi ja in Schneckengeschwindigkeit zu. Nüchtern betrachtet: Was ist das schlimmste, das uns passieren kann? Dass wir einen neuen Flug kaufen müssen, Größenordnung: 3.000 €. Dass wir vielleicht noch eine Nacht bleiben müssen. Sehr blöd. Wir würden uns ärgern, es durchziehen – und dann in ein Leben zurück düsen, von dem viele Menschen hier in Guatemala vielleicht nur träumen können (wobei: Stau gibt’s bei uns auch).
Es kommt, wie es kommen muss
Alice, unsere Fahrerin, nimmt das ganze dagegen schon deutlich ernster. Gegen 6:30 wird schnell ein vorausfahrender Taxifahrer angeheuert, uns einen anderen Weg zum Flughafen zu lotsen. Ja, den gibt es tatsächlich. Aber er ist – Überraschung – fast genauso verstopft wie der bisherige Highway.
Um 7:00 Uhr, mit etwa einer Stunde Verspätung, fahren wir am Flughafen vor. Wir krallen uns das Kind, das Gepäck, hetzen hinein – und stehen natürlich vor dem geschlossenen Schalter. Nächste Station: Büro der Fluggesellschaft Delta, eine Etage höher. Der Mitarbeiter fackelt nicht lange: Er kann nichts für uns tun. Nein, leider gar nichts. Wirklich nichts. Flug weg. Bitte wenden Sie sich an den Kundenservice.
Und jetzt?
Delta kann uns ohnehin wenig helfen, gekauft haben wir den Flug nämlich bei AirFrance. Wo telefonisch um die Uhrzeit noch niemand erreichbar ist. Nur dort könnten wir – wenn überhaupt – umbuchen. Wofür wiederum ein Buchungscode erforderlich ist.
Jetzt suchen wir erst mal WLAN. Um uns zu orientieren, uns zu Hause zu melden und natürlich um unsere Optionen zu überblicken. Freies WLAN gibt es nämlich, das muss man wissen, außerhalb Deutschlands in ziemlich vielen öffentlichen Gebäuden. Auch im Flughafen von Guatemala City.
Während Florian und Theo durch den Eingangsbereich toben, klinkt Annes Handy sich ins WorldWideWeb ein – und bekommt eine kleine PUSH-Nachricht von Delta. Unser Flug war anscheinend lächerliche zehn Minuten vorverlegt worden. Was uns ein gesondertes Umbuchungsrecht einräumt. Ob wir das in Anspruch nehmen möchten?
Draußen rollt inzwischen unser verpasster Flieger auf die Startbahn. Währenddessen sehen wir uns an und denken: Ja, genau das möchten wir, gute Idee eigentlich.
Und so lösen sich die 3.000 € allmählich wieder in Wohlgefallen auf. Wir können in wenigen Stunden direkt in den nächsten Flug einchecken. Das war das bisher wertvollste WLAN unseres Lebens.
Wir staunen bis heute darüber, wie einfach alles am Ende funktioniert hat. Die neue Flugverbindung ist, was Umsteigezeiten und Sitze betrifft, sogar etwas besser als die alte. Statt über Paris fliegen wir über Amsterdam – ein echt cooler Flughafen mit einem breiten Angebot für Kinder (Schlafraum für Babies, Leseecke, Klettergelegenheiten…)
Lerneffekte für die Krise
Abgesehen vom Nervenkitzel nehmen wir auch noch ein paar nützliche Erkenntnisse für Krisensituationen mit nach Hause.
1. Kaufe Dir eine Telefonkarte. Und lade die Apps aller Fluganbieter.
Gerade wenn es um Verbindungen und Anschlüsse geht, ist das Smartphone Gold wert. Jedenfalls dann, wenn es ins Internet kommt. Den Flug hätten wir zwar damit auch nicht gekriegt. Auf dem Taxi-Rücksitz hätte uns aber das Wissen, dass wir umbuchen können, einige abgekaute Fingernägel erspart.
Wichtig: Die Fluggesellschaft, die ein Ticket verkauft (in unserem Fall: AirFrance), führt bekanntlich nicht alle einzelnen Flüge selbst durch. Um über Flugänderungen informiert zu werden und Umbuchungen vornehmen zu können, ist es darum entscheidend, die App jedes einzelnen Carriers zu laden. Und natürlich den Buchungscode vorrätig zu haben. Ohne den geht – vor allem wenn es schnell gehen muss – gar nichts.
2. Akzeptiere Deine Unsicherheit.
Zugegeben: Wir haben da so einen ganz leichten Kontrolltick. Wir gehören zur Sorte Mensch, die gerne auf alles irgendwie vorbereitet ist und sich nicht gerne überraschen lässt, weil sie sich sonst ziemlich ärgert.
Und zugegeben: Wir hatten die kleine Hoffnung, dass so eine Fernreise als Familie uns da ein bisschen lockerer macht. Wir lassen uns um den Globus treiben, dachten wir, und dann schauen wir mal. Wir öffnen uns, stellen Ansprüche zurück, lernen dazu, lassen uns von der Welt verändern und so weiter. Wir sind Autoren und Hauptfiguren im eigenen Bildungsroman. Kehren gereift und gelassener nach Hause zurück.
Soweit zumindest die Theorie. Geklappt hat das höchstens teilweise. Denn unsere Biographie und unser Mindset haben wir immer mit im Gepäck. Das Karussell “Müssen wir / müssten wir / haben wir daran gedacht / was wäre / aber …” summt in Wahrheit immer weiter, mal leiser, mal lauter. Insgesamt sind wir einfach nicht so gelassen und überlegen, wie wir uns gerne hätten.
Das zu verstehen und zu akzeptieren, ist aber wertvoll. “Erkenne Dich selbst” stand schon über dem Orakel von Delphi. Die Erfahrung macht uns in Wahrheit nicht gelassener. Dafür sind wir beim nächsten Mal vielleicht besser vorbereitet.
3. Konzentriere Dich auf Deine Optionen.
Bleibe rational, um die Nerven zu behalten. Uns hilft der Gedanke: “Was ist das schlimmste, was jetzt realistischerweise passieren kann und wie schlimm wäre das wirklich?”
Vermeide vor allem den Konjunktiv 2: “hätten wir, könnten wir, warum haben wir nicht…” – alles das bringt bestenfalls gar nichts, schlimmstenfalls Streit. Verschaffe Dir Zugang zum Internet (Siehe Punkt 1) und prüfe: Welche Optionen hast Du und was weißt Du über sie?
Auf gewöhnlichen touristischen Routen lassen sich die meisten Probleme (Anschlüsse, Verletzung / Krankheit etc.) letztendlich irgendwie mit Geld lösen.
4. Verteilt die Aufgaben und spielt als Team.
Bei uns hat sich für solche folgende Aufgabenverteilung bewährt: Einer konzentriert sich darauf, die Informationen zusammenzutragen, der andere bespaßt das Kind. Das erfordert etwas Vertrauen, ist für die Familie aber insgesamt entlastender.
Was sind bisher Eure größten Fails auf Reisen und was habt Ihr aus ihnen gelernt? Schreibt sie uns einfach in die Kommentare!